Sturm 6

Wir saßen noch einigermaßen gutgläubig auf dem Oberdeck, in ca. 6 Metern Höhe, das von den Brechern noch nicht erreicht wurde. Wir grinsten uns an! Die Nachricht von dem anderen Troll verschwieg ich Dingsbums. Sie hätte sich vermutlich wieder vor lauter Lachen nicht mehr eingekriegt. Aber ich hörte ihn immer noch! „Wir treiben hilflos in den Gewalten – wir können nichts mehr tun. Das Schicksal wird die Oberhand behalten!“
Ich nahm all meine Kraft zusammen und funkte. „Du musst die Kraft des Holodecks schmälern, damit es sich nicht voll entfalten kann!“ Doch es kam nur ein verständnisloses „Wovon sprichst du?“ zurück.
Hatte der Troll noch gar nicht mitbekommen, daß die Zeit nur eine Kette initiierter Ereignisse war, die sich auf unser Leben ausbreiten, uns mit aller Wucht erfassen und uns in die Knie, oder ganz zu Boden zwingen? „Nimm dich zusammen“ schrie ich gedanklich, „geh gegen deine Bestimmung an!“ Aber ich bekam nur ein „Du spinnst“ zurück.

„Kannst du denn gar nicht zaubern?“, wollte ich noch wissen, doch die Antwort war leider nur rein pragmatisch. „Ich bin Musiker, ich zaubere mit Tönen und die kann ich in dem Lärm hier nicht entfalten!“ Dann rief er „Gleich werden wir kentern!“
Doch auch bei uns wurde die Situation immer dramatischer. Die Wellen hatten inzwischen eine Höhe von 7 Metern erreicht! Schnell leerte sich das Oberdeck, denn wir wurden alle patschnass. Eine Frau flüchtete in die Besenkammer der Aufbauten und schloss sich dort ein. Dingsbums schielte nach der Treppe, die vom Oberdeck ins Zwischendeck führte, wagte es aber aus Angst fortgespült zu werden, nicht aufzustehen. Doch bald wurde ihr die Entscheidung sehr erleichtert, denn der nächste Brecher schlug direkt in unserer Sitzreihe ein.

Ich befürchtete meine – für mich teure - Foto- und Filmausrüstung würde gleich verloren gehen und erhob mich mit den Worten „ich hole dich sofort ab, bitte halte noch ein paar Minuten aus, ich komme schnellstmöglich zurück!“. Dann war ich weg und drängelte mich in den Gang zum Zwischendeck, dessen äußere Sitzreihen mit Glas überspannt waren. Dort stellte ich meine Ausrüstung ab und vertraute darauf sie möge auch noch vorhanden sein, nachdem ich Dingsbums gerettet hatte. Ich lief eilends nach oben, aber sie kam mir bereits entgegen...mit irrem Blick und völlig entstellt, durch die massive Einwirkung des Wassers.
Dann versuchten wir uns entweder bis ins Zwischendeck durchzuschlagen, oder weiter nach unten zu entkommen, da schon der Gang zum trockenen Aussichtsraum heillos überfüllt war.

Die Treppe weiter nach unten, wo sich der Ausgang, die Toiletten, noch einmal Sitzreihen und ein Kiosk befanden war komplett mit Menschen bestückt. Alle versuchten sich jetzt irgendwo festzuhalten, denn das Schiff schwankte wie ein kleiner Schmetterling in der Luft. Es wurde jetzt teilweise sogar zur Hälfte aus dem Wasser gehoben, so daß die Wellen zeitweise auch von unten an den Rumpf schlugen. Das dabei entstehende Geräusch hörte sich wie Kanonenschüsse an! Am Ende des Ganges, dort wo er ins Freie führte rauschte nun ein Wasserfall vom Oberdeck herab, erreichte uns aber nicht. Rechts von uns, im Gang zum Aussichtsdeck befand sich eine Bar, an der 2 Leute der Schiffsbesatzung standen... Ich bestellte einen doppelten Whisky und dann noch einen und einer neben mir zündete sich eine Zigarette an. Ich wies ihn auf das Schild „Rauchen verboten hin“, aber er lachte nur gehässig und rief „Das ist doch sowieso meine Letzte!“
Neben mir wollten zwei Engländerinnen wissen, wie lange es denn noch dauern würde bis wir Tropea erreichten. Das sollte ich die Italiener fragen. Ich tat das insgesamt 5 Mal, denn wir waren mittlerweile nun schon 3 Stunden in diesem Alptraum unterwegs – und die Fahrt hätte insgesamt nur etwa 45 Minuten dauern dürfen.

Dann stellte ich meine Bemühungen ein! Jeder von uns war ohnehin ausschließlich mit dem Einspreizen in den Gang beschäftigt, wobei wir manchmal fast waagrecht dastanden. Dingsbums war leichenblass geworden. Mich aber plagte inzwischen ein ganz anderes Gefühl: Ich musste ganz dringend pissen!
Mir blieb nichts anderes übrig als mich nach unten zur Toilette durchzuschlagen. Gerne hätte ich eine Schwimmweste mitgenommen, hatte aber vor 2 Stunden schon festgestellt, daß es so gut wie keine gab und die Rettungsringe eigentlich auch nur Dekoration waren. Prost Mahlzeit! Daß es jedoch so schlimm kommen sollte wie es dann kam, hätte ich mir in meinen verrücktesten Träumen nicht ausgemalt. Ich schaffte es tatsächlich bis zur Toliettentüre, wurde aber von einem Passagier zurückgehalten. „Die ist besetzt“, grölte er lauthals (die Kanonenschüsse donnerten nun rund um das Boot! Also wartete ich ein wenig – bis ich nicht mehr konnte!

Ich nahm mir vor an der Türe zu rütteln um die in dem Kabäuschen befindliche Person darauf aufmerksam zu machen, daß es auch noch andere Leute mit gewissen Bedürfnissen gibt, doch die Türe ging widerstandslos auf. Vorsichtig sah ich mich um! Niemand war zu sehen...fast niemand! Zwischen der Kloschüssel und der Kabinenwand kauerte ein Häufchen Elend. Es handelte sich um eine Frau, die die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hatte.
„Bitte“ sagte ich so laut, daß ich verstanden werden musste, „gehen sie doch mal kurz hinaus, damit ich mich erleichtern kann“. Ich wiederholte es auf englisch und italienisch, aber die Frau rührte sich nicht! Sie war doch nicht tot?! „Wenn sie nicht gehen muss ich so tun als seien sie nicht da“ moserte ich nun nur noch auf deutsch, dann fing ich auch schon zu pinkeln an, wobei ich meine liebe Not hatte die arme Frau nicht zu treffen – doch Not kennt kein Gebot. Und siehe da, der Zufall war mir gnädig und mir gelang eine fehlerloses Wasserlassen unter stark erschwerten Bedingungen.

Dann kam sie, die letzte Nachricht von meinem Trollkollegen: „Wir sind gerade eben gekentert! Das Schiff dreht sich, das Wasser dringt ein, ich bekomme keine Luft mehr! Alle Fluchtmöglichkeiten sind durch in Panik versetzte Leiber versperrt. Das ist das Ende!“ Auch bei uns sah es nicht gerade rosig aus. Auch unser Schiff war ein paarmal ganz knapp dran zu kentern. Dingsbums wurde inzwischen auf dem Boden quasi hin- und her geschwemmt, weil sie sich nicht mehr aufrecht halten konnte und ich tröstete ein letztes Mal die beiden Engländerinnen, mit dem Wort „bald“, von denen ich heute nicht einmal mehr sagen kann ob sie hübsch waren oder nicht. Ich hatte andere Sorgen!
Im Ionischen Meer war das andere Ausflugsschiff mit Mann und Maus untergegangen. Es gab keine Überlebenden! Wir aber kamen tatsächlich, nach beinahe 5 Stunden Fahrzeit im unglaublich ruhigen Hafen von Tropea an. Ich atmete erschöpft auf und versuchte den an Land hastenden Urlaubern auszuweichen.

Dingsbums und ich verließen als eine der Letzten das Schiff. Wir hatten uns in eine Ecke hinter der Bar gedrängt um nicht zertrampelt oder zerquetscht zu werden. Nach uns kamen nur noch die kleine Frauengestalt aus der Toilette und die Frau aus der Besenkammer. Beide waren nach einer kurzen Suchaktion, entdeckt worden. Sie wurden von jeweils 2 Seeleuten gestützt und von Bord getragen. Ihre Blicke schienen mir undeutbar, ins Irreale entrückt. Ansprechbar waren sie jedenfalls nicht.
Unser Mietwagen stand noch an der Stelle wo ich ihn abgestellt hatte – und jetzt kam er mir vor wie ein Bild der Erlösung von den Übeln der Welt, denn ich durfte nun wieder selbst steuern, was mich glauben ließ, daß ich in Sicherheit sei.
An diesem Abend feierten wir still unsere Wiedergeburt in das gleiche Leben, das wir um ein Haar gewaltsam verlassen hätten, mit zwei Flaschen Rotwein.
So schliefen wir wie die Engelchen, in den nächsten Tag hinein, den wir, ohne weitere Unternehmungen zu vollbringen, absolvieren wollten. Ich erzählte nur kurz Giorgio von unserem Glück und der war erstaunt!

Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman)  19

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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